Frauen

Antibabypille – älter als der Mauerbau

Sabine Martiny:
Mein ganz persönlicher Rückblick
Als in Amerika im Juni 1960 die erste Pille ‚ENOVID‘ auf den Markt kam, war ich noch keine 16 und spielte lieber Skat oder Fußball mit Jungs, als an Sex mit ihnen zu denken. In Berlin kam die Pille von ‚Schering‘ 1961 auf den Markt und hieß passend ‚ANOVLAR‘ –  „kein Eisprung“! Papst  Paul VI wandte sich in seiner Enzyklika ‚Humanae Vitae‘ gegen die Pille  und auch in Parteien mit dem „christlich“ im Namen wurde der  Protest laut. Ich fand das dumm, weil die Freiheit, über mich selbst zu bestimmen, nach meinen Erfahrungen der wichtigste aller menschlichen Wünsche sein sollte, der um keinen Preis von Männern bestimmt werden durfte.
Wir wurden überschwemmt von Alice Schwarzers EMMA-Titeln, von Fernsehsendungen und Filmchen, Pros und Kontras, und niemand kann sich heute vorstellen, welche Schreckgespenster vor allem von Männern an die Wand  gemalt wurden. Viele Ärzte weigerten sich damals, die Pille zu verschreiben. Ihre Motivation war, Leben zu schützen – dabei wurde die Not vieler Frauen ignoriert. Man stritt sich heillos über mögliche gefährliche Nebenwirkungen, über die  Fragwürdigkeit medizinischer Indikationen. Ich hatte das Gefühl, da wollten ganze Gruppen das Rad der Zeit zurückdrehen. Dass die Pille Nebenwirkungen hatte und hat, soll hier aber nicht vergessen werden.
Die 68er Jahre brachten die Kommune I [2] in Berlin hervor, die freie Liebe  wurde propagiert und gelebt, an alten Zöpfen kräftig gezogen und ‚Der  Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ bekämpft. Erst 1969 wurden Verhütungsmittel auch für unverheiratete Frauen legal. 
Mein Thema war das aber noch immer nicht –  erst 1971 (ich hatte meine Interessen verlagert) wurde ich durch den Sterntitel „Wir haben abgetrieben“ unsanft auf Probleme aufmerksam, die auch meine sein könnten.
1972 lernte ich in Berlin meinen Mann kennen, wir heirateten wegen des Nachnamens unserer zukünftigen Kinder – 1974 und 1976 geboren – und dann wurde es ernst: Ich erwartete ein drittes Kind – und ich konnte nicht mehr! Ungeübt  in ‚Familie‘, total überfordert von den eigenen und den Ansprüchen anderer trat eine Krankheit immer offener und grausamer zutage: Ich war (und bin es immer noch, aber seit über 10 Jahren trockene)  Alkoholikerin und hatte Depressionen, die ich erst sehr viel später als solche wahrnahm. Lange waren es „nur“ Schuldgefühle. Wieviele  Frauen sind wegen solcher Erschwernisse in soziale und gesundheitliche  Schwierigkeiten gekommen, wieviele an einer Abtreibung im ‚Dunklen‘  gestorben? 
Ich raffte mich auf, um einen Arzt zu suchen, der eine Abtreibung bewilligen würde. Es war schwierig! Ich solle mich beraten lassen, hieß es. Ich solle doch wieder in eine Kirche eintreten, die könnten mich richtig ‚beraten‘ –  Beratung hieß in all diesen Fällen: Abraten! Gern auch mit moralischem  Druck. Beim richtigen Arzt bekam ich dann endlich die dringend benötigte „Medizinische Indikation“ [3], da ich beide Kinder wegen einer Krebsoperation per  Kaiserschnitt zu Welt gebracht hatte und ein dritter Kaiserschnitt nicht anzuraten sei. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich das Trauma der Abtreibung besiegen konnte. Ich  will nicht wissen, wieviele Frauen ähnlich geschädigt wurden in einer bigotten Zeit, die ich noch lange nicht für überwunden halte. Dass Männer sich sterilisieren lassen können, ist nie wirklich „in Mode“  gekommen. Ich will hier auch nicht spekulieren, was bei dem Gedanken in Männern vorgehen könnte. 
Viel Zeit ist vergangen seit der Einführung der Pille, aber hat sich wirklich viel für uns Frauen geändert? 
Manfred Schramm, Themenbeauftragter der Piratenpartei Deutschland für Familienpolitik und Politischer Geschäftsführer im Landesverband NRW, kommentiert anlässlich des Jahrestages der Pille: 
„Ein anschaulicher Bericht einer Zeitzeugin, der einen Einblick in die Verhältnisse der damaligen Zeit gibt. Moderne Gesellschaftspolitik ermöglicht heute längst die Selbstbestimmtheit der Frauen. Die Pille war ein Meilenstein auf dem Weg dorthin. Sie hat die Frauen unabhängiger gemacht von männlicher Bevormundung und materieller Abhängigkeit. Mit der Pille bekam die Frauenrechtsbewegung neuen Schwung und Rollenklischees wurden aufgelöst oder zumindest in Frage gestellt. Letztlich bedeutete das eine Befreiung für beide Geschlechter. In punkto Verhütung sollte die Verantwortung aber nicht mehr nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern liegen.
Wir PIRATEN setzen uns für die Gleichstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein. Es ist Zeit, die Frauen von der Last der Hormonbehandlung zur Empfängnisverhütung zu befreien. Die Einführung der Antibabypille auch für den Mann ist überfällig. Auch Männer müssen Verantwortung für die Familienplanung  übernehmen. In Indonesien wird aktuell ein Zulassungsverfahren im Rahmen des National Population and Familiy Planning Boards (BKKBN) für ein Präparat vorangetrieben [4], welches die  enzymhemmenden Substanzen der Justicia Gendarussa enthält. Gendarussa wirkt auf die Beweglichkeit der Spermien: es wird ein Enzym der Spermien gebremst und sie werden  schlichtweg daran gehindert, in die Eizelle einzudringen. Dies  wäre ein weiterer Fortschritt für die Gleichberechtigung von Mann und Frau, wenn Verhütung endlich von beiden Geschlechtern getragen werden könnte.“